“… die Fotografie wird zur Findekunst der Linse.”
so Max Bense über die Ästhetik in der Fotografie.
Damit ist jedoch für die Ästhetik der Fotografie noch ein anderes Prinzip aufgedeckt, ein Prinzip, das sie in gewisser Hinsicht von der Ästhetik der Malerei, der Zeichnung, der Skulptur trennt und resolut verselbständigt. Die klassischen bildenden Künste wählen ihre “Mittel”, um mit ihrer Hilfe wirkliche oder mögliche “Objekte” zu repräsentieren.
Das Repertoire der klassischen Künste sind die realen substantiellen Mittel, die Mittel der “Palette” möglicher Darstellung, und diese Mittel definieren auch die ästhetische Realitsthematik des künstlerischen Objekts, das gleichsam aus dem Repertoire der Mittel selektiv kreiert wird. Aber für die Fotografie existiert kein Repertoire der Mittel; die Materialien, ihre Eigenschaften und ihre Prozesse, sind für jeden einzelnen Fall der Aufnahme durch die physikalischen-chemischen Gesetze festgelegt. Der Fotograf kann kaum aus ihnen auswählen; sein eigentliches Repertoire ist kein Repertoire der Mittel, sondern ein Repertoire der realen Objekte. Der Fotograf kann nicht aus Mitteln wählen, sondern nur aus Objekten; sein Repertoire ist der Inbegriff der realen Weltobjekte, aus denen er sein mögliches Weltobjekt als unwahrscheinliches und damit als für die Zerstörung extrem anfälliges, ästhetisches Objekt selektiv rekonstruiert. Dies hat sich im Zeitalter der Bildmanipulationsmöglichkeiten relativiert, gilt aber nach wie vor für die „klassische Fotografie”, mit der wir es hier zu tun haben.
Jens Lyncker bereiste Friesland und hat sich seine Bilder gemacht. Das Land fand er dabei gar nicht friesisch herb vor, sondern voll Lieblichkeit und Melancholie, die ständig nach der Welt hinter dem Horizont zu fragen scheint.
Doch wie seine Eindrücke fotografisch für sich selbst befriedigend umsetzen ins zweidimensionale Foto? Flach ist das ‚Land, flach das Meer – da gibt es ja noch die Himmel. Eigentlich müsste es also heissen: von Land und Meer und Himmel. Der passt ins Bild, das ungewöhnlich, nicht querformatig sondern quadratisch, ausschnittslos daherkommt.
Lyncker kann damit hervorragend umgehen, so daß der Betrachter von Melancholie, Weite, selbst anscheinend vom Duft der Landschaften berührt wird. Erst die Einsamkeit banaler Dinge wie Schilder, Warnkreuze, Duschen, Kleiderständer, spannungsreich ins Bild gesetzt, erzeugen diese Empfindungen. Dabei scheinen sie so isoliert, auf den Rest der Welt zu weisen. Menschen sind hier nicht vertreten, dafür scheinen sich die Strandkörbe in einer Versammlung über die kommende Saison zu beraten. Auch die Schafe, welche sich offensichtlich wohlfühlen, sind Bildelemente, wie die Geländer, Windkraftanlagen oder Türme, welche zu sagen scheinen: schaut mal was um uns herum und über uns alles passiert. Welche Farbe haben die Himmel, welche das Meer? Alles hier scheint vom Wind blankgeputzt und so zeitlos wie Storm, Land, Meer und Himmel.
Wir sehen die Bilder.
Uwe H. Seyl (2005)